Oper von Dmitri Schostakowitsch
Oper in vier Akten
Urfassung von 1932
In russischer Sprache mit deutschen Übertexten
Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden, 10 Minuten, eine Pause (nach ca. 1 Stunde 25 MInuten)
Schostakowitsch schuf allein 15 Sinfonien und zahlreiche weitere Werke in allen Genres, aber vollendete nur zwei Opern. Warum? Weil Stalin es nicht wollte! Seine Oper Lady Macbeth von Mzensk nach einer Erzählung von Nikolaj Leskov aus dem Jahre 1865 wurde 1936, zwei Jahre nach der Uraufführung, wohl wegen ihres großen Erfolgs nach einem Vorstellungsbesuch Stalins abgesetzt. Schostakowitschs Karriere als Opernkomponist war zu Ende.
Katerina Ismailowa ist einsam. Ihr Schwiegervater terrorisiert sie, Katerina vergiftet ihn, lässt sich auf eine Liebesaffäre mit dem Arbeiter Sergej ein und tötet mit ihm gemeinsam den Ehemann. Die Leiche wird entdeckt, Katerina und Sergej verhaftet und zur Zwangsarbeit nach Sibirien geschickt. Als Katerina erlebt, dass Sergej sie mit einer anderen betrügt, stürzt sie sich mit der Konkurrentin in einen Fluss.
Schostakowitschs Musik wechselt mühelos zwischen Naturalismus, feiner Psychologie und drastischer Groteske hin und her. Und spürbar ist stets seine Empathie, ja Identifikation mit der Hauptfigur. Doch anders als diese ließ er sich nicht zu Verzweiflungstaten hinreißen, sondern führte in beständiger Angst um sich und seine Familie ein zwischen Loyalität und Dissidenz schwankendes Leben als Sowjetbürger.
Regisseur Francis Hüsers und Ausstatter Mathis Neidhardt, die in Hagen zusammen bereits Hamlet und Der Freischütz erstellten, erzählen Katerinas Geschichte mit Bezug auf die Zerrissenheit des Komponisten.
Fotos:Jörg Landsberg
Genial
Das spartanische Bühnenbild, das Mathis Neidhardt für das erste Bild von Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk ins Theater Hagen gesetzt hat ist nicht anders denn genial zu nennen.
Und auch die Idee dahinter, die trübe russische Dorfwelt in ein Varieté zu transferieren, zündet. Jene totalitären Autoritäten, von denen der regieführende Intendant Francis Hüsers in seiner Lesart von Schostakowitschs Oper erzählen will, benötigen kein bestimmtes Umfeld. Sie wirken durch sich selbst. […]
Viktorija Kaminskaite ist Katerina. Ist es mit Haut und Haar und Stimmen, einem satten, zugleich sanft schimmernden Sopran. Grandios gerät ihr Porträt auch und gerade deswegen, weil die litauische Sopranistin sich mit ihrer Figur gemeinsam aus höchsten (erotischen) Höhen in den Abgrund stürzt. […] Joseph Trafton ist ihr ein nobler, eleganter Begleiter, und er hält das famos spielende Philharmonische Orchester Hagen zu einer Transparenz und Piano-Kultur an, die man ihrer unverminderten rhetorischen Dezenz wegen bewundern darf.
Eindrückliche Bilder
Wie aus Langeweile und Hass Mordlust wird, zeichnet Hüsers in Hagen in eindrücklichen […] Bildern nach. […]
Viktorija Kaminskaite ist eine glühende Katerina: leuchtend nachgiebig, wenn Katja sich nach dem Grobling Sergej sehnt, verächtlich und ängstlich zugleich in den Begegnungen mit ihrem autoritären Schwiegervater Boris. […] Roman Payer gibt Sergej stilsicher als charmanten, haltlosen Mann, der zu Gewalt greift, weil er eben gelernt hat, dass er als echter Mann gilt, wenn er es tut. Wioletta Hebrowskas Sonjetka ist Kaminskaites Lady im letzten Bild ebenbürtig an Energie. Boris ist bei Insu Hwang in sicheren Händen, er bringt böse Ironie und Brutalität in sein Rollenporträt ein. […]
Joseph Trafton leitet die Hagener Philharmoniker einmal mehr in einer hörenswerten Aufführung. Die Kontraste und Mehrdeutigkeit hat er im Griff, die Stimmung schillert und schlägt um, böser Witz und brachiale Ausbrüche sitzen auf den Punkt. […] Auch der Chor, einstudiert von Julian Wolf, schlägt sich sehr gut.
Großer Jubel
Joseph Trafton arbeitet mit dem Philharmonischen Orchester Hagen sehr differenziert und plastisch heraus, wo die Stärken in Schostakowitschs Musik liegen, nämlich in den grandiosen symphonischen Zwischenspielen. […]
Für all das findet Trafton mit dem Philharmonischen Orchester Hagen genau den richtigen Tonfall, so dass er zu Recht mit großem Jubel und stehenden Ovationen gefeiert wird.
Auch die Solistinnen und Solisten […] lassen keine Wünsche offen. Viktorija Kaminskaite begeistert in der Titelpartie mit großem, dramatischem Sopran und erweckt darstellerisch Sympathie mit dieser Frau, die in ihrer ausweglosen Situation nur ihr Glück sucht. […] Roman Payer stattet den Sergej mit einem dunkel gefärbten Tenor aus und stellt den recht brutalen, auf seinen eigenen Vorteil und sexuellen Spaß bedachten Mann glaubhaft dar. […]
Ensemble-Mitglied Insu Hwang begeistert als durch und durch boshafter Boris Ismailow mit dunkel gefärbtem Bariton und intensiver Mimik, die die Kälte und Brutalität des Kaufmanns hervorhebt. […] Der von Julian Wolf einstudierte und mit Gästen und dem Extrachor erweiterte Chor begeistert ebenfalls stimmlich und darstellerisch auf ganzer Linie, so dass es auch für die Gesangsleistungen großen und verdienten Applaus gibt.
Bombastische Höhepunkte und ironische Facetten
Das Premieren-Publikum im gut gefüllten Haus feierte das musikalische Team mit überschwänglicher Begeisterung. […]
Francis Hüsers und Bühnenbildner Mathis Neidhardt siedeln die Handlung auf der munter rotierenden Drehbühne in drei Welten an: Katerinas elendes Dasein als Ehefrau in einem stalinistischen Varieté-Theater, ihr kurzes Glück mit Sergej in einer bürgerlichen Wohnstube und das Eine auf einer Art Müllhalde. […]
Seine handwerklichen Fähigkeiten spielt Hüsers am Überzeugendsten in der Personenführung aus, so dass die Charaktere der Figuren und die verwickelten Beziehungsgeflechte profiliert zum Ausdruck kommen. […]
Die mörderischen Ansprüche der pausenlos zwischen Ekstase und Depression, Verzweiflung und Glück, Auflehnung und Zusammenbruch changierenden Titelpartie der Katerina Ismailowa bewältigt Viktorija Kaminskaite stimmlich und darstellerisch vorbildlich. Der psychologisch etwas einfacher gestrickten Figur des Sergej verleiht Roman Payer die nötige tenorale Strahlkraft. Ein Sonderlob verdient der aufgestockte Chor des Theaters. […]
Weiträumige Entwicklungen steigert [Joseph Trafton] zu bombastischen Höhepunkten, die ironischen Facetten der Partitur tönen umso greller und die schroffen Stimmungswechsel fängt er souverän auf. Und das alles mit beachtlicher Rücksicht auf die Sänger.