Oper von Wolfgang Amadeus Mozart
Oper in zwei Akten
In italienischer Sprache mit deutschen Übertexten
Aufführungsdauer: 3 Stunden, eine Pause
Viva la libertà! Es lebe die Freiheit!
Frei von gesellschaftlichen Zwängen und Moralvorstellungen zu leben – so sieht Don Giovannis Ideal aus. Er handelt, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen, und fühlt sich nur seiner eigenen hedonistischen Agenda verpflichtet. Sobald der Rausch verflogen ist, muss Diener Leporello akribisch Buch führen über die amourösen Abenteuer seines Herrn.
Don Giovanni ficht die Regeln des menschlichen Zusammenlebens an und bringt dadurch alles aus dem Gleichgewicht, was letztlich zu Erschütterung und Chaos führt: Verführung, Betrug und sogar einen Mord hat der notorische Frauenheld zu verantworten. Dennoch scheinen alle Figuren der Oper ständig um Don Giovanni zu kreisen – sei es aus Faszination, Obsession, erotischer Neugier oder dem Bedürfnis nach Rache. Letztlich muss der Archetyp des Libertins nicht nur zur Rechenschaft gezogen werden, wie es der Untertitel – Der bestrafte Wüstling – der Oper verrät, sondern gar in die Hölle fahren, um die vermeintliche Ordnung wiederherzustellen.
Don Giovanni ist die zweite Zusammenarbeit von Wolfgang Amadeus Mozart mit seinem kongenialen Librettisten Lorenzo Da Ponte nach Le nozze di Figaro. Ihnen gelang der Balanceakt, die Komödienstruktur der Oper mit düsteren, tragischen und diabolischen Elementen zu durchziehen – nicht nur E. T. A. Hoffmann sah das Stück deshalb als „Oper aller Opern“. Die Inszenierung für das Theater Hagen übernimmt die international bekannte Sopranistin Angela Denoke, die zuletzt bei der Regenbogengala im Juli 2019 in Hagen zu erleben war und nun immer häufiger auch als Regisseurin Erfolge feiert.
BEMERKENSWERT
Angela Denoke kennen die Opernfreunde als Sopranstar. Im Theater Hagen stellt sie sich als Regisseurin vor – mit einem bemerkenswerten Don Giovanni.
Was macht ein Opernstar, dessen Weltkarriere vom Regietheater der 90er- und frühen 2000er-Jahre geprägt worden ist, wenn er Regie führt? – Er lässt den Sängern Freiraum, um sich aufs Singen zu konzentrieren und lenkt nicht mit Aktionismus von der Musik ab. So macht es Angela Denoke in ihrem Don Giovanni im Theater Hagen, den das Premierenpublikum am Samstag mit Ovationen im Stehen gefeiert hat. […]
Der Auftritt von Zerlina (schöne Soubretten- Ausstrahlung: Nayun Lea Kim) und Masetto (Kenneth Mattice als Komödiant) und ihrer Hochzeitsgesellschaft ist als humorvolle Buffo- Szene gut gelungen. Die Hagener Inszenierung gibt viele Anstöße, die Rollen der so vertrauten Oper neu zu überdenken: Beniamin Pop zeigt den Leporello als den eigentlichen Frauenverführer und -versteher. Bei ihm ist der Diener viel mehr als ein Casanova-Azubi – ein Charmeur, auch mit samtigem Bariton. Insu Hwang ist als Giovanni mehr ein Getriebener als Treibender und keiner, der den diabolischen Spaß bis zum Letzten auskostet.
Angela Davis ist eine sanfte Elvira, die Giovanni nicht furienhaft nachstellt; Netta Or ist als Donna Anna auch stimmlich dominanter. Anton Kuzenok singt den Ottavio mit schönem Mozart-Tenor; das „Dalla sua pace“ im Liegen, so langsam und verträumt zu singen, muss man erst mal schaffen.
Generalmusikdirektor Joseph Trafton dirigiert das Philharmonische Orchester Hagen und treibt es in Giovannis Höllenfahrt, wenn feuerroter Nebel über die Bühne wabert, zu packender Dramatik.
Ein sehens- und hörenswerter Giovanni, an dem auch interessant ist, wie ruhig, aber trotzdem spannend eine Opernsängerin dieses Drama deutet.
EIN GROSSER OPERNABEND
Das Theater Hagen nimmt in seiner Neuinszenierung von Mozarts populärer Oper jetzt den Begriff Höllenfahrt wörtlich. Die Produktion ist bildstark, gut gearbeitet und musikalisch überzeugend, das Publikum feiert einen großen Opernabend mit Beifall im Stehen. […]
Angela Denoke, die berühmte Sopranistin, tritt zunehmend als Regisseurin hervor. Für Hagen stellt sie mit dem Bühnenbilder-Team Timo Dentler und Okarina Peter den Don Giovanni überzeugend in eine Film-Kulisse. […]
Im Zeitalter von „Me Too“ und immer neuen Enthüllungen über sexistisches Verhalten unantastbarer Helden im Kulturbetrieb liegt es nahe, Don Giovanni zeitaktuell zu spiegeln. Genau das macht Angela Denoke jedoch nicht. Sie interessiert sich vielmehr für die betroffenen Frauen: Zerlina, Donna Anna, Donna Elvira und das komplizierte Graufeld ihrer Beziehung zum adligen Verführer zwischen Einverständnis, Lust und Machtmissbrauch. Donna Elvira kann rational genau analysieren, wie Don Giovanni sie demütigt, aber sie kann nicht von ihm lassen. In der Fachsprache nennt man das eine toxische Beziehung. Besonders spannend ist die Inszenierung in ihrer Neubewertung der Rolle des Leporello, der hier ein Aasgeier ist, ein Resteverwerter der Lust seines Herrn. Dabei ist die Interpretation von Angela Denoke erfreulich ergebnisoffen, sie steckt ihre Protagonisten nicht in Schubladen, sondern öffnet Denkräume.
Gut besetztes Ensemble
Das große Mozart-Ensemble ist sehr gut besetzt, angefangen mit Nayun Lea Kim und Kenneth Mattice als bezauberndem Bauernpaar. Netta Or zeigt die Donna Anna mit dramatischem Metall im Sopran-Timbre als Frau, die über die Grenze des Erträglichen hinaus getrieben wird, Anton Kuzenok singt ihren treuen Gefährten Don Ottavio mit Vokuhila-Frisur und feinem lyrischen Tenor. Dong-Won Seo ist als Komtur kein Polter-Bass, sondern ein beängstigend sanfter Rächer. Beniamin Pop gestaltet den Leporello mit berückend schönem lyrischen Bass als fieses Beta-Männchen.
Für Insu Hwang ist der Don Giovanni eine Traumrolle, und er legt ihn mit stimmgewaltigen Akzenten nicht als triebgesteuerten Dämonenbariton an, sondern als Intellektuellen, für den Frauen einfach nur die Beute im Spiel sind. An Angela Davis alias Donna Elvira beißt er sich letztlich die Zähne aus. Die koloratursichere Sopranistin kann stimmlich eine beeindruckende Bandbreite von Emotionen abrufen, und vor allem: Sie kann sich glaubhaft verändern und lässt das Publikum an diesem schmerzhaften Prozess teilhaben.
Generalmusikdirektor Joseph Trafton dirigiert die Hagener Philharmoniker in Mozart-Besetzung nach den Erkenntnissen der Alte-Musik-Bewegung und spielt ebenfalls das Hammerklavier in den Rezitativen. So erblühen schöne Dialoge zwischen den Koloraturen der Solisten und den parallel geführten Holzbläsern. Am besten funktioniert das Dirigat, wenn die Musik psychologischen Zustände nachfühlt: dem Herzklopfen und der Angst bei der Höllenfahrt.